Kriminalpräventive Reichweite des Einsatzes von Lügendetektoren in Deutschland
Zentrale Erkenntnis
Die kriminalpräventive Reichweite des Untersuchungsverfahrens mit einem Lügendetektor tendiert gegen Null, weil es den Forschern im vorliegenden Projekt entgegen der weltweit vertretenen Meinung gelungen ist, auch erfahrene Anwender des Lügendetektors willkürlich in die jeweils gewünschte Aussagerichtung irrezuleiten, ohne dass diese es bemerkt hätten.
Dieses “Täuschungsverfahren” ist methodisch einfach und im Prinzip von jedem innerhalb eines Tages erlernbar. Damit fällt der Lügendetektortest als Wahrheitsfindungsinstrument aus und entwickelt insofern auch keine kriminalpräventive Reichweite. Im Gegenteil, die obligatorische Anwendung könnte kriminogen wirken, weil der im Täuschungsverhalten Geübte seine vermeintliche Unschuld “beweisen” könnte.
Diese Erkenntnisse dürften weltweit Auswirkung auf die Anwendung des Verfahrens haben, zumindest aber in Deutschland muss das bisher geübte Testverfahren beerdigt werden.
Konsequenzen/Forderungen
- Der Lügendetektor und seine Anwendung entwickeln in Deutschland keine kriminalpräventive Wirkung.
- Jede weitere Anwendung in Deutschland könnte Unschuldige ins Unrecht stürzen und Schuldige vor Sanktionen bewahren.
- Das von den Forschern herausgefundene Verfahren zur Manipulation des Auswerters bedarf der klinischen Erprobung
- Bis zum Vorliegen eindeutiger Ergebnisse dürften weltweit keine polygraphischen Untersuchungen mehr durchgeführt werden.
Münster, Dezember 2000
Die Geräte darstellenden Fotos sind Herstellerkatalogen entnommen. Es gibt auch andere Geräte. Die Untersuchungsergebnisse lassen nicht den Schluss zu, die Geräte seien fehlerhaft oder ungeeignet, es wurden die Anwendungsmethode untersucht, nicht ein spezielles Gerät oder die Geräte eines bestimmten Herstellers.
Die Aufgabenstellung für das von der Stiftung Kriminalprävention 1997 aufgelegte Forschungsprojekt war die Exploration, ob bei -hypothetisch- obligatorischem Einsatz des Lügendetektors in unterschiedlichen Lebens- und Rechtsbereichen in Deutschland die Menschen ihr Verhalten normkonformer ausrichten würden.
Dabei war sowohl an die potentielle Anwendung durch oder von Versicherungen gedacht als auch an Bereiche wie Arbeitsrecht polizeiliche Ermittlungen und/oder der Gerichte.
Der Forschungsansatz hatte folglich unterschiedliche Dimensionen:
- Internationale Literaturrecherche über Wirkungsweise, Entwicklung, Anwendungsbereiche und Erfahrungen mit dem Polygraph
- Die unterschiedlichen Testverfahren, Möglichkeiten, Grenzen, Genauigkeit, Verlässlichkeit, Stabilität
- Denkbare Anwendungsbereiche in Deutschland
- Expertenbefragung zum potentiellen Einsatz
- Sachstand der juristischen Diskussion
Ergänzt wurden diese mit Unterstützung des EZK e.V. Steinfurt durchgeführten Untersuchungen durch praktische Studien und Tests, vornehmlich in Deutschland und Israel.
Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden thematisch jeweils in die oben genannten Bereiche eingegliedert.
Die “Maschine”
Die Abbildungen auf der gesamten Seite zeigen technisch wohl ausgereifte und zuverlässige Produkte der US-Firma Lafayette. (Es gibt auch andere Hersteller, deren Produkte vergleichbaren Standards entsprechen.)
Eine EDV-gestützte Lösung: Die Messfühler sind mit denen der oben gezeigten Version identisch, die Aufzeichnung der Messergebnisse erfolgt indes computergestützt.
Weil der Aufschrieb in Verlaufkurven dargestellt wird und zeitgleich “viele” (nämlich bis zu sechs) solcher Kurven aufgezeichnet werden, ist die richtige Bezeichnung für das Gerät die international gebräuchliche, nämlich “POLYGRAPH”
Während der Befragung zu einem relevanten Sachverhalt wird die Veränderung von Körperfunktionen wie Blutdruck, Hautwiderstand, periphere Durchblutung und Atmung aufgezeichnet.
Dabei gehen Wissenschaftler und Anwender davon aus, dass sich die Körperfunktionen in Abhängigkeit von der emotionalen Betroffenheit auf die unterschiedlichen Fragen verändern. Eben diese Veränderungen lassen sich an den aufgezeichneten Kurvenverläufen ablesen und interpretieren (= auswerten oder begutachten).
Beispiel eines charts im Stimulationstest
Die Auswertungsmethoden sind vielfältig wie die unterschiedlichen Frageverfahren. Allen Tests jedenfalls haben gemeinsam, dass nicht die Maschine über Lüge und Wahrheit entscheidet, vielmehr der Anwender und Auswerter, der Polygraphist.
Während das im Ausland nur selten Akademiker mit einschlägiger Ausbildung als vielmehr individuell ausgebildete Menschen mit Neigung und Erfahrung zum Ausfragen sind (ehemalige Polizisten, Detektive, Angehörige der Dienste …), betätigen sich hierzulande fast ausnahmslos Psychologen.
Die Systematik der Befragung und Auswertung baut darauf auf, dass die untersuchten Personen auf diejenigen Fragen besonders heftig reagieren, welche sie aktuell besonders betreffen. Folglich wechseln sogenannte relevante Fragen mit Kontrollfragen, die nichts mit dem aufzuklärenden Sachverhalt zu tun haben ab.
Polygraph als LapTop – Lösung, gemessen werden die herkömmlichen Reaktionen, die Erfassung und Auswertung erfolgen indes digital.
Der Unterschied in der Reaktion des Probanden auf relevante und Kontrollfragen wird gemessen und führt zur Bewertung, dem sogenannten “scoring”. Überwiegen also die Reaktionen auf Kontrollfragen, so wird der Tester zum Ergebnis “Wahrheit” kommen, sind indes die Reaktionen auf die sachverhaltsbezogenen Fragen (relevant questions) deutlich stärker, dann wird eine Lüge angenommen.
Neue, computergestützte Systeme nehmen dem Tester eben dieses “scoring” ab, indem die Reaktionen im Rechner gemessen und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, um dem Tester dann ein “scoring” anzubieten.
Dabei wird das “chart” elektronisch -also am Bildschirm und am Drucker verfolgbar- geschrieben, nicht wie bei den analogen Systemen durch tintenversorgte Nadeln auf einem durchlaufenden Papier.
Weltweit, mit Schwerpunkt in den USA, aber auch z.B. in Japan, Australien, Israel, Südafrika und selbst in Deutschland wird die polygraphische Untersuchungsmethode gewerblich eingesetzt. Eine Milliardenindustrie für Hersteller und Anwender. Die Untersuchungen kosten Geld, von Land zu Land, Tester zu Tester und Sachverhalt zu Sachverhalt unterschiedlich, nämlich in der Größenordnung zwischen 100 US $ und 3000 DM.
Profiteuere sind Rechtsanwälte, Versicherer, Richter, hintergangene Eheleute, betrogene Vertragspartner, Manager, Arbeitsgeber, Richter, Polizisten…., also jeder, der sich entlasten oder andere belasten kann.
Über die Anwendungen in den Geheimdiensten sind wenig konkrete Informationen bekannt, gehen wir auf dieser Grundlage von einer obligatorischen Nutzung aus.
Ähnliche Verfahren werden angeblich auch bei Sektenmitgliedern angewendet, um deren “Treue” zu testen.
Alle Anwender jedenfalls akzeptieren die Ergebnisse einer Untersuchung und stützen darauf ihre Entscheidungen und Maßnahmen !
Würde dieses Untersuchungsverfahren stabil sein, also jedenfalls verlässliche Ergebnisse produzieren, könnte das auf das Wohlverhalten von Menschen Einfluss haben. Wenn nämlich in einer Gesellschaft die Anwendung des Polygraphen bekannt und anerkannt wäre, dann würden vielleicht viele Regelverstöße nicht stattfinden, weil die Gefahr der Überführung durch den Polygraphisten als zu groß angesehen würde.
Für den potentiellen Anwendungsfall Deutschland wurden im Rahmen der Studie u.a. Expertenbefragungen durchgeführt:
Die für diese Untersuchungsphase in Deutschland ausgewählten Gerichtspsychologen bieten auch ihre Dienste am Polygraphen an, vornehmlich im Familienrecht aber auch zur Klärung “privater” Streitfälle. Diese -regelmäßig nach amerikanischem Muster geschulten- Wissenschaftler jedenfalls sind von der Zuverlässigkeit des Verfahrens ganz überwiegend überzeugt, teilweise wird an Frage- und Auswertemethoden geforscht, um die Zuverlässigkeit zu verbessern.
Prof. Udo Undeutsch aus Köln hat einen Test mit Juristen unter juristischer Beobachtung durchgeführt und weist nahezu 100 % Erfolg nach !
Zusammen mit Frau Klein arbeitet er unter dem Dach des psychologischen Instituts der Uni Köln mit dem Lügendetektor, gegen Vorkasse auch für “private” Kunden.
Gewerkschafter und Unternehmer sehen rechtliche und ethische Probleme, die Polizei zeigt sich fachlich durchaus interessiert, weist indes auf die rechtliche Situation hin und die Versicherer hätten vielleicht gerne den Erfolg -also weniger Betrügereien- wollen aber derzeit die Anwendung des Polygraphen aus verschiedenen Gründen nicht mal diskutieren.
Trotz eher ablehnender Ergebnisse bei der Expertenbefragung hätte eine -grundsätzlich- kriminalpräventive Reichweite nachgewiesen werden können, wenn denn in der Bevölkerung mit der Anwendung des Lügendetektors gerechnet werden müsste und das Verfahren stabil wäre.
Gerechnet werden kann aber nur bei juristisch abgesegneter Zulässigkeit als Beweismittel damit, und diese Entscheidung ist -zumindest vorläufig- gefallen:
Die sachverständigen Aussagen zur Verlässlichkeit des polygraphischen Untersuchungsverfahrens vermochten die BGH Richter nicht überzeugen, sie lehnten dieses Beweismittel 1999 grundsätzlich -aber auch nur vorläufig- ab !
Selbstverständlich hat sich auch die Studie der Stabilität dieses polygraphischen Untersuchungsverfahrens gewidmet:
Die weltweite Literaturrecherche erbrachte eine Trefferquote zwischen 50% und über 90% ! Bezüglich der Möglichkeit, seitens eines Untersuchten, den Auswerter “auszutricksen”, beschreibt die Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher “Verfahren”, kommt aber insgesamt zu dem Ergebnis, dass der erfahrene Auswerter jede Manipulation am Chart erkennt und seine “Rückschlüsse” zieht:
Wer betrügen will, wird seine Gründe haben, objektiv gilt eine solche Untersuchung als nicht auswertbar, informell “weiß” der Gutachter, dass “gelogen” wurde.
Eben an dieser Stelle haben -zunächst mehr zufällig- die praktischen Untersuchungen der Forscher schon im Oktober 1997 in Tel Aviv angesetzt, zunächst in Tel Aviv, nach Fortentwicklung auch in Deutschland.
Mit “herkömmlichen” Methoden arbeitet Victor Cohen, Gründer und Chef des Israelischen Polygraphischen Instituts in Tel Aviv. Er hat mit viel Geduld und Mühe die Analysten bei ihrer praktischen Forschungsarbeit mit seiner Erfahrung aus über 20.000 Untersuchungen unterstützt,
Danke !
Würde es möglich sein, eine Untersuchung willkürlich zu beeinflussen, ohne dass der Auswerter diesen Manipulationsversuch feststellen würde, könnte das polygraphische Untersuchungsverfahren nicht nur keine kriminalpräventive Reichweite entwickeln, sondern es würde im Gegenteil jedem dazu dienen können, jede Verfehlung als “nicht geschehen” darzustellen, andere zu belasten, sich selbst zu exkulpieren.
Nicht auszudenken, welche Dimensionen ein solcher Missbrauch entwickeln könnte, aber auch wohl verfehlt, anzunehmen, wir würden die ersten sein, denen das gelingen würde – nur die anderen würden darüber nicht berichtet haben und einen nicht qualifizierbaren Schaden angerichtet haben können.
Ein fiktiver Lebenssachverhalt wurde entwickelt, und die Antworten auf relevante Fragen haben die Forscher stets in gleicher Weise abgegeben. Allerdings haben sie bei der Antwort einmal versucht, eine starke Reaktion zu liefern, ein anderes Mal eine entsprechend starke Reaktion bei der zugeordneten Kontrollfrage.
In jedem Fall in Tel Aviv konnte ein Untersuchungsergebnis erzeugt werden, das den zuvor von den Forschern vorhergesagten -in jedem Fall manipulierten- Ergebnissen entsprach:
Mal Lüge, mal Wahrheit.
Derselbe Sachverhalt wurde unter “Legendenbildung” drei Gutachtern in Deutschland mit der Bitte vorgestellt, einen der Forscher hinsichtlich seiner Wahrheitsliebe zu untersuchen und ein entsprechendes Gutachten zu erstellen.
Erwartungsgemäß fielen die Gutachten jeweils “eindeutig” und frei von etwa erkannten Manipulationsversuchen aus. Zweimal wurde -vom Forscher provoziert und vorhergesagt- Lüge bezüglich des fiktiven Sachverhaltes gutachterlich festgestellt, in Köln bei Frau Klein, dem Undeutschschen Institut, eindeutig die Wahrheit.
Die Forscher bei der Arbeit in Tel Aviv,Susanne Stubbe, Klaus Stüllenberg
Der Ansatz war verblüffend einfach, lag geradezu auf der Hand:
Wenn lediglich der Unterschied der Reaktion auf eine relevante Frage zu der auf eine Kontrollfrage gemessen wird, dann müsste mit bildhafter Vorstellungskraft kritischer oder anmutigerSituationen die Reaktion jeweils so zu beeinflussen sein, dass willkürliche Ergebnisse produziert werden können.
Sicher, keine klinische Erprobung des Verfahrens.
Und man könnte den Forschern auch vorhalten, die Versuche seien ohne tatsächlichen “Leidensdruck” durchgeführt worden, obwohl es anstrengend genug war, einen Psychologen bewusst und möglichst ohne aufzufallen zu hintergehen.
Dennoch, es ist in allen -insgesamt fünf Fällen- gelungen, das Untersuchungsverfahren ad absurdum zu führen, und es liegt nun an den Wissenschaftlern weltweit, weiterzuforschen.
Werden sie das tun ? Geht es doch um ihre eigene Erwerbsquelle !
Die weltweit führende Polygrahenorganisation in Amerika (APA) jedenfalls hatte trotz mehrfacher schriftlicher Anfragen und eines Angebotes seitens der Forscher, dorthin zu kommen und das Verfahren vorzustellen, kein Interesse daran, sich mit den Forschungsergebnissen auseinanderzusetzen.
Die Studie jedenfalls kommt zu klaren Forderungen:
- Der Lügendetektor und seine Anwendung entwickeln in Deutschland keine kriminalpräventive Wirkung.
- Jede weitere Anwendung in Deutschland könnte Unschuldige ins Unrecht stürzen und Schuldige vor Sanktionen bewahren.
- Das von den Forschern herausgefundene Verfahren zur Manipulation des Auswerters bedarf der klinischen Erprobung.
- Bis zum Vorliegen eindeutiger Ergebnisse dürften weltweit keine polygraphischen Untersuchungen mehr durchgeführt werden.
Neben dieser -auch für die Forscher unerwarteten- Zentralerkenntnis ist der gesamte Forschungsbericht ein Kompendium für Polygraphenanwender und -interessierte.
Klaus Stüllenberg: Lügendetektortest in Deutschland
ISBN 3-8311-0777-7
Als Buch in jeder Buchhandlung oder online bestellen (€ 17,00).
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